top of page

Wer bist Du? Von der Versöhnung mit der eigenen kulturellen Identität

  • sakonarski
  • 3. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Mai

Das Spektrum-Magazin definiert „Identität“ als innere Einheitlichkeit trotz äußerer Wandlungen. Autorin und Psychoanalytikern Verena Kast beschreibt in ihrem Buch „Immer wieder mit sich selber eins werden“, dass man unter einer sicheren Identität eine gefestigte Persönlichkeit im Werden versteht. Das heißt, in schwierigen Zeiten gerät man vielleicht aus dem Gleichgewicht, findet es aber auch wieder und entwickelt erneut ein gutes Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen. Dies geschieht alles in Beziehung zu Menschen und eröffnet die Frage nach der Zugehörigkeit.


Hast Du schon mal Deine Identität angezweifelt oder Dich gefragt, wer Du eigentlich bist? Ich habe eine ganze Weile unangezweifelt meinen Alltag gelebt, bis mich ändernde Umstände in eine Krise stürzten, ich mich von Aussagen anderer mehr beeinflussen ließ als mir lieb ist, und ich letztendlich kein Gefühl mehr dafür hatte, wer eigentlich darüber entscheidet, wer ich bin. Du oder ich?


Ist es mein Umfeld oder bin ich es? Die Phase, in der ich nicht mehr erspüren konnte, was richtig oder falsch für mich ist, resultierte nicht nur in einem Dauerrauschen in meinem Kopf. Es fühlte sich an, als würde sich meinen Füßen der Boden entziehen. Die Erdung war weg. Das gefestigte, von dem Verena Kast vermutlich spricht.


Dieser Text thematisiert nicht die Komplexität einer Identität in all ihren Facetten. Er beschreibt einen Teilbereich dessen. Meine eigene Erfahrung, in zwei Kulturen aufgewachsen zu sein, und welche Macht das Außen auf einen haben kann, wenn innerlich regelrecht ein Wirbelsturm herrscht, der die eigene Verwurzelung lockert. Faktisch und auf Papier kann alles ganz klar und offensichtlich sein, mental war es das für mich aber nicht. Der Text handelt vom Loslassen festgefahrener Kategorien und der daraus resultierenden Versöhnung mit einem Teil meiner Identität — meiner Herkunft.

Geboren in Deutschland bekam ich den polnischen Pass ausgestellt, denn nach deutschem Recht entscheidet die Abstammung über die Staatsbürgerschaft. Meine Eltern sind beide polnisch und waren vor meiner Geburt noch nicht lang genug in Deutschland, damit eine rechtliche Ausnahme greift. Bei der Geburt entscheiden also das Umfeld und die Umstände über einen Teil der Identität. Für eine sehr lange Zeit stellte ich dies nicht in Frage. Bei Behördengängen füllte ich Formulare für Ausländer aus, bis ich mich mit etwa 23 Jahren dazu entschied, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen, um ein paar Dinge für mich zu erleichtern. Monate später hielt ich zwei Reisepässe in der Hand.


Polnisches Herzblut, deutsche Sozialisierung

Bis ich 18 Jahre alt war und vom Norden in den Süden Deutschlands zog, lebten wir in meinem Elternhaus die polnische Kultur. Polnische Erziehung mit unschlagbaren Tischmanieren, Höflichkeit, Streben nach Harmonie und einer gelockerten und dennoch osteuropäischen hierarchischen Strenge. Da die ganze restliche Familie in Polen lebt, war es unser jährliches Ritual ihr über den Sommerferien einen Besuch abzustatten, mit Hauptquartier bei meiner Großmutter.


In der Sonne die Äpfel vom Baum pflückend konnten wir Pierogi, Pysy, Kopytka und andere polnische Leckereien aus der Ferne riechen. Moja Babcia (pl. für„meine Oma“) bereitete die Speisen mit Herzblut zu  getreu der polnischen Mentalität und Liebe zum Trinken, Essen und Feiern. Am Tag wurde gekocht, im Garten beim Obst und Gemüse ernten geholfen und Essen eingelegt. Am Abend las mir meine Oma polnische Märchen vor oder ich schaute polnisches Fernsehen mit fehlender Synchronisation wie ich sie eigentlich aus Deutschland kannte.


Über die Wintermonate besuchte meine Großmutter uns in Deutschland, um der Kälte und dem hexenartigen Kohleofen dessen Inbetriebnahme in der kalten Jahreszeit zu viel Kraft in Anspruch nahm  zu entfliehen. Sie brachte die polnische Tradition an Weihnachten und Ostern nach Deutschland und uns dazu, jeden Sonntag in die katholische Kirche zu gehen.


Babcia und ich verfolgten gespannt die Shows wie „Geh aufs Ganze“, „Zonk“ oder Eiskunstlauf. Gesprochen, gelacht und geschimpft wurde mit ihr auf Polnisch. Diesen Rhythmus lebten wir jedes Jahr aufs Neue bis meine Oma eines Tages zum Pflegefall wurde und zu uns nach Deutschland zog. Unser Alltag veränderte sich abrupt, und als sie ein paar Jahre darauf verstarb, rückte ein wichtiger Teil meines Lebens und meiner Identität schleichend in den Hintergrund. Schleichend, weil mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war, welchen Einfluss meine Oma auf mein Leben und Identitätsverständnis hatte.


Meine deutschen Charakterzüge, die Pünktlichkeit, Gründlichkeit, Loyalität und Struktur miteinschließen, verdanke ich mitunter meiner Sozialisierung — der „Prozess der Eingliederung eines Individuums in eine Gemeinschaft. Es umfasst die Vermittlung von Normen, die für das Handeln einer Gemeinschaft leitend und verbindend sind.“[1] Diese gründet schon allein darauf, dass ich in Deutschland geboren wurde und aufgewachsen bin. Im Norden Deutschlands ging ich zur Schule, schloss Freundschaften mit Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, aber hauptsächlich Deutschen, ging meinen Hobbies nach und zog nach meinem Schulabschluss fürs Studium in den Süden.


Nach wie vor verging einiges an Zeit bis ich anfing, meine Identität anzuzweifeln. Je internationaler jedoch mein Umfeld wurde, desto interessanter wurde auf einmal die Frage: „Woher kommst Du?“.

 

Warum entscheiden andere darüber, ob ich deutsch oder polnisch bin?

Als ich noch als PR-Managerin tätig war, arbeitete ich mit Kollegen und Kolleginnen zusammen, die auf der gesamten Weltkugel verstreut waren. Mit welchen Eigenheiten eine Kultur besticht, gehörte zu unseren täglichen Diskussionen. Es gehörte zum Berufsalltag, dass Aussagen fielen wie „Die Amerikaner wieder.“, „Ach die Briten.“ und so weiter. Je mehr man sich mit Menschen anderer Kulturen und Nationalitäten unterhält, und sich schmunzelnd unterschiedliche Eigenarten bewusstmacht, desto mehr rückt auch die eigene Kultur und Herkunft ins Bewusstsein.


Als mein Umfeld nicht mehr nur im Beruflichen international geprägt war, sondern auch im Privaten, wurden meine Zweifel angestupst. Immer häufiger hörte ich die Leute zu mir sagen: „Du bist doch keine richtige Deutsche.“, „Dann bist Du auch nicht polnisch.“, „Du bist deutsch.“ Du bist dies, Du bist jenes. Zunächst nahm ich es humorvoll auf. Allerdings häuften sich die Aussagen mit einer Selbstverständlichkeit, die ich bald als unverschämt wahrnahm. „Warum entscheiden andere darüber, ob ich deutsch oder polnisch bin? Ich weiß doch besser wie ich aufgewachsen bin!“, raste mir durch den Kopf.

Zu dieser Zeit kamen die äußeren Wandlungen zum Vorschein, von dem das Spektrum-Magazin spricht. Neues kam in mein Leben, altes ging. Darüber hinaus jagte eine gesellschaftliche Krise die andere. So bröckelte meine bisherige innere Einheitlichkeit und katapultierte mich in eine Krise. Ich bin erstaunt, wie unter anderem ein damals nicht in Frage gestellter Fakt der doppelten Staatsbürgerschaft, einen Menschen Jahre später in einer Krise täglich beschäftigen kann: „Wer bin ich?“, „Wo gehöre ich hin?“ und „Wo komme ich her?“.


Gefestigte Dynamik — ein Paradoxon, das zur Versöhnung führt

Es kann eine in der Vergangenheit wühlende Weile dauern, bis sich diese Fragen beantworten und sich wieder ein Stück Boden unter den Füßen aufbaut. Es hat Therapiesitzungen, Gespräche mit der Familie, das Inhalieren unterschiedlicher Bücher und das Zulassen diverser unterdrückter Emotionen gebraucht, um an Erdung zurückzugewinnen.


Heute, während ich meine Gedanken zusammenfasse, ist mir klar: Ich bin beides und ich war auch immer schon beides. Ich bin sowohl deutsch als auch polnisch, von offiziellen Unterlagen bestätigt. Ich fühle mich zwar weder dem einen, noch dem anderen so richtig zugehörig, es ist aber mittlerweile in Ordnung für mich. Wenn ich beschreiben müsste, wie ich mich bezogen auf meine Herkunft fühle, dann würde ich mir wohl den Stempel „Hybrid“ aufdrücken.


Das Äußere wird nicht aufhören zu beurteilen in welche Herkunftsschublade man gehört. Habe ich mich in meiner Krise noch schwergetan mich in eine Schublade einzuordnen, kann ich heute guten Gewissens zwei Schubladen offenlassen und von einer in die andere hüpfen. Das beschreibt wohl die innere Einheitlichkeit, trotz äußerer Wandlungen (oder äußerer Kommentare). Und dies bezieht sich nicht nur auf die Herkunft, sondern auf alle anderen Charakteristika, die uns ausmachen. So sind es Berufe, menschliche Beziehungen, Hobbies, Werte und noch vieles mehr, das sich immer wieder wandelt und unsere Identität bestimmt.


Fest steht: Unsere Identität ist dynamisch. Sie verändert sich ein Leben lang. Wir kommen an, wir begeben uns auf die Suche, wir kommen an, wir begeben uns wieder auf die Suche. Das machen wir so lange bis wir uns an unseren Kern, unser “wahres Ich”, das wir eigentlich schon immer waren, vorgeschält haben. Bis dahin lernen wir immer wieder neue Versionen von uns kennen  eine “gefestigte Persönlichkeit im Werden“.

 

 
 
 

Kommentare


bottom of page