Teil II: Wenn das gesellschaftliche Ideal zum Kompass wird
- sakonarski
- 3. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Mai
„It’s not difficult, though, to detect the general model of ideal selfhood that the culture of today has come up with. It’s usually depicted as an extroverted, slim, beautiful, individualistic, optimistic, hard-working, socially aware yet high-self-esteeming global citizen with entrepreneurial guile and a selfie camera.“ – Will Storr, Autor des Buches „Selfie – How the West becamse self-obsessed“ (2018), S. 18.
Wenn es nach all den Professoren geht, die in Will Storrs Buch zu Wort kommen, haben wir keine Chance, uns gänzlich von gesellschaftlichen Erwartungen, die unser Dasein prägen, abzukapseln: Karriere machen, Founder werden, eine Familie gründen, ein Haus bauen. Das könnte erklären, warum Mönche verschiedener Religionen sich von der Zivilisation abkapseln, um nach ihren eigenen Regeln zu leben.
Es geht immer auf irgendeine Art und Weise um die Aufrechterhaltung des eigenen Status‘ in den Kreisen, in denen man gerade verkehrt – bestenfalls klettert man das Status-Treppchen auch weiter hoch. Und in diesen Kreisen herrschen Stereotype vor. In der Schönheitsindustrie dominiert beispielsweise auch nach vielen Diversitätsbewegungen weiterhin das Schlanksein und ein geometrisch-synchrones Gesicht a la Margot Robbie; was nicht bedeutet, dass es diese Bewegungen nicht braucht und sie nicht schon viel positiv verändert hätten. Wandern wir auf der Weltkarte weiter südlich Richtung Äquator, gilt es als Schönheitsideal mehr Gewicht auf die Waage zu bringen.
Je nach Gesellschafts-Typus bemühen wir uns, den anerkannten Idealen dieser Gesellschaft zu entsprechen, um von der Gruppe anerkannt zu werden.
Wo liegt der Ursprung dieser Stereotypen?
Damit dieser Text nicht in andere Sphären ausartet, nehme ich einfach mal an, dass die Bildung von Stereotypen mit dem menschlichen Bedürfnis zusammenhängt, sich in der Welt orientieren zu können. Für diese Orientierung brauchen wir Begriffe, die etwas beschreiben. Und diese Begriffe werden gruppiert und bekommen einen Überbegriff - im Nu ist ein neuer Stereotyp geboren, der uns zeigt wo es langgeht. Auf Basis dessen können wir Entscheidungen treffen.
Während wir „nein“ zu einem bestimmten Stereotypen sagen, sagen wir gleichzeitig „ja“ zu einem anderen Stereotypen. Dann ist es eben nicht die fitte Bergsteigerin, die ich mir vorstelle, sondern die coole Gaming-Queen oder die Gärtnerin mit farbenfrohen Blumenbeet und frischer eigener Gemüseernte, die sich jemand anderes zum Vorbild nimmt. Je nach Sub-Gruppierung in der Gesellschaft.
Bilden die Stereotype auf meiner Liste also einen ernsthaften intrinsischen Wunsch ab oder geben sie mir lediglich Orientierung, in welche Richtung mein persönlicher Veränderungsprozess gehen soll, damit ich von einer Gruppe anerkannt werde? Anfangs sprach die Übung ja davon: „Beweg Dich wie die Person aus Deiner Vorstellung, und bald bist Du sie.“ Klingt nach einer strengen Spielregel, um sich genau in diese Person zu verwandeln, die man sich vorstellt. Aber was, wenn das wahre Ziel ist, sich selbst zu entdecken und sich immer wieder neu zu definieren, anstatt einem Ideal zu folgen?
Authentisch ja oder nein?
Aus Storrs Buch geht hervor, dass es kein „wahres“ oder „authentisches“ Selbst gibt, zu dem wir uns entwickeln bzw. das wir nach außen hin zeigen könnten. Wir sind auf bestimmte Eigenschaften limitierte Wesen, die an der einen oder anderen Stelle nachjustieren können. Dennoch sind unsere Eigenschaften überwiegend in Stein gemeißelt. Wir sind einfach wie wir sind. Aus meiner Sicht ist das erstmal eine große Erleichterung, die den Selbstoptimierungsdruck von den Schultern schubst, - und die Bestätigung dafür, dass es eben doch ein authentisches Selbst gibt, das wir nicht bis ins Unermessliche verändern können.
Wenn es nach Will Storr geht, ist damit auch der Drang nach Authentizität, der über Social Media gepredigt wird, ein vergeblicher. Denn wie es aussieht, hängt unsere Persönlichkeit und unser Verhalten immer davon ab, in welchem Umfeld wir uns gerade befinden, an das wir uns anpassen müssen: bei der Arbeit sind wir jemand anderes, unter Freunden sind wir anders, in der Familie sind wir anders.
Wenn wir uns notieren, wer wir sein wollen, wie viel davon ist intrinsisch und wie viel ist extern motiviert? Wenn wir in andere Bereiche unseres Lebens blicken, sprechen Herz und Kopf oft unterschiedliche Sprachen. Manchmal folgt man dem einem, manchmal dem anderen. Und weder das eine, noch das andere muss von Grund auf richtig oder falsch sein. Manchmal wird’s ein Kompromiss aus Logik und Emotion. Vielleicht ist es auch in der Persönlichkeitsentwicklung ein Kompromiss aus intrinsischer und extrinsischer Motivation.
Was ist authentisch, was nicht? Was ist gesellschaftlich geprägt, was ist das eigene Verlangen? Macht meine Liste an stereotypisierten Frauen zur eigenen Weiterentwicklung Sinn oder kann ich sie getrost zusammen mit meinem Handy aus dem Fenster werfen, um mir den Stress zu nehmen?
In Teil III dieser Flüsterreiche geht es um mein persönliches Ergebnis der Orientierungsübung zum idealen Selbst.



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