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Teil I: Die Suche nach Orientierung

  • sakonarski
  • 3. Mai
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Mai

„Stell Dir die Person vor, die Du sein möchtest. Wie kleidet sie sich? Wie bewegt sie sich? Was für Hobbys hat sie? Was isst sie? Wie sieht ihr Alltag aus? Schreibe alles auf, was Dir dazu in den Sinn kommt und visualisiere diese Person. Im nächsten Schritt fängst Du an, Dich zu kleiden wie sie, Dich zu bewegen wie sie, die Hobbys auszuführen wie sie. Und schon bald bist Du sie.“


Während ich meinen Algorithmus-gesteuerten Pinterest Feed durchstöberte, tauchte unter lauter verlockenden Abbildungen von Essen, Reisen, motivierenden Sprüchen zur Persönlichkeitsentwicklung und Klamotten eine kleine Denkübung auf. Pinterest hatte verstanden: Ich suche nach Orientierung.


Wohin die Reise geht, habe ich bereits für mich definiert. Aber wer ich auf dem Weg dorthin sein möchte beziehungsweise wer ich bin, das fühlt sich vor lauter Veränderungen der letzten Jahre noch etwas unbeholfen an. Also nahm ich mir die aufgezeigten Fragen zu Herzen und fing an, stichpunktartig zu schreiben. Mir schossen direkt Bilder in den Kopf: die fitte Bergsteigerin, die tanzende braunhaarige Latina im feuerroten Sommerkleid auf Siziliens Straßen, die Reisende, die Autorin, die Frühaufsteherin – denn der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm – und so weiter.


Die Liste wurde ganz schön lang, und beim Anblick der Stichpunkte fühlte es sich mehr und mehr nach einer Wunschliste an als nach einem realistischen Ziel all diese Persönlichkeitstypen in einer Person zu vereinen. Egal. Für den Moment hat dieser Versuch an Orientierung gereicht, und Kernaussage des Ganzen war ja unterm Strich „Fake it, until you make it.“ Von „realistisch“ war nicht die Rede. Also legte ich den Stift beiseite, nickte meine Zusammenfassung an modernen Stereotypen befriedigt ab und widmete meine Aufmerksamkeit etwas Anderem.


Ein paar Wochen später…

Die Frauen meiner wohlwollend-gemeinten Liste kamen mir als wöchentlicher Leuchtturm immer wieder in den Sinn: „Ich muss meine freien Tage mit Schreibübungen füllen. Ich will doch Autorin werden. Wann scheint wieder die Sonne? Wir sollten wandern gehen!“

Täglich dachte ich an meine personifizierten Ziele und ließ mir diverse Pläne von ChatGPT erstellen, um produktiver und fokussierter auf die Ladies aus meiner Vorstellung zuzusteuern. Mehr und mehr stellte ich mir die Frage wie ich eigentlich erkenne, dass ich zu meinem idealisierten Selbst geworden bin. Brauche ich dafür einen Instagram-Account voller Beweisfotos schweißtreibender Wanderungen oder muss es doch der SPIEGEL-Besteller im Hugendubel-Wandschrank sein? Nach dem Leitsatz: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“


Am Ende des Tages erzeugte die nett gemeinte Orientierungshilfe ein ordentliches Maß an selbstkreiertem Druck, und die bereits erwähnte Zusammenfassung an modernen Stereotypen ließ mich skeptisch fragend auf mein beschriebenes Blatt blicken: „Bin ich authentisch auf einem Pfad der Selbstfindung unterwegs oder renne ich einem gesellschaftlichen Ideal hinterher, basierend auf persönlicher Klick-Dynamik auf Social Media?“


Mehr zum Spannungsverhältnis zwischen dem gesellschaftlichen Ideal und persönlichem Wunsch zur Persönlichkeitsentwicklung in Teil II dieser Flüsterreihe.

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