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Gesehen werden

  • sakonarski
  • 27. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit

In stets gebückter Haltung, die sein hohes Alter verriet, griff er nach seiner mit Vogelhäuschen gefüllten Schubkarre und schlenderte Richtung Obstbäume. Ein Senior mit Federhut auf grauem Haar, der sich gemächlich, aber zielstrebig von einer Aufgabe zur nächsten bewegte. Er war durch und durch Landwirt, das sah man ihm an. Offensichtlich war er das, denn wir saßen auf seinem Grundstück mit saftig-grüner Wiese, angrenzendem Wald und einem Bauernhaus, das uns für einen kurzen Urlaubsaufenthalt beherbergte. 


Während wir in der wärmenden Sonne sitzend mit Prosecco auf ein neues Lebensjahr anstießen, verrichtete der Bauer in Ruhe seine Arbeit und grüßte uns nickend. Mit seiner Schubkarre schlürfte er bereits mehrfach von A nach B. Ich bin mir sicher, er hatte am Ende des Tages 10.000 Schritte auf dem Tacho, mindestens. Sein monotoner, von Falten geprägter Gesichtsausdruck verriet rein gar nichts über sein Gemüt. Fröhlich, verärgert, neutral, traurig, bedrückend – es hätte alles bedeuten können oder nichts. Knietief im Hier und Jetzt versunken.  


Ich beneidete ihn. Getreu der Theorie, das Gras sei auf der anderen Seite selbstverständlich immer grüner, dachte ich mir, dass er nach einem erschöpfenden, produktiven Tag sicherlich nicht über die Stube zu seinem Computer eilt, um ein Beweis-Selfie mit verrichteter Arbeit und Schubkarre im Hintergrund auf LinkedIn zu veröffentlichen. Oder um seine Profil-Headline zu aktualisieren: “Unermüdlicher Landwirt mit eigenem Bauernhof und Federhut”. 


Nein, sicherlich nicht.  

Andere Generation, anderes Berufsfeld. 

 

Tu (Gutes) und sprich darüber 

“Sei sichtbar” – ein viel gelesener und häufig gehörter Ratschlag, der durch die Leistungsgesellschaft getragen wird. Oft mit dem Nachtrag, man bleibe sonst auf der Strecke, könne nur wenig bewirken oder unterm Strich: man sei einfach nicht (interessant) genug.  


Der klassischere Vorgänger dieser modernen Sichtbarkeits-Predigt lautet: “Tu Gutes und sprich darüber”. Ob dieses gute Tun Aufmerksamkeit verdient hat, entscheiden meistens Außenstehende. Um über etwas Gutes sprechen zu können, muss man aber erstmal Gutes tun. Logisch. Der allgemeine Aufruf zum Sichtbar sein sorgt allerdings für Verwirrung und lässt viel Spielraum für Interpretation.  


Mit dem Aufstieg von Social Media müssen Menschen nichts Gutes mehr tun, um über etwas zu berichten und von vielen Leuten gehört zu werden. Ob austauschbare Morgenroutine inklusive Katzenkuschelei, philosophische Sprüche, ein neues, von jemand anderen abgekupfertes Green-Smoothie-Rezept, Muskelaufbau im Fitness-Studio, eine persönliche Sinnkrise – es findet sich immer ein Grund dafür, das eigene Gesicht oder ein Stillleben aus ausgestrecktem Arm und Matcha Latte in der Hand vor die Linse zu halten.


Auch auf dem vermeintlichen digitalen Berufsnetzwerk LinkedIn hat dieses Phänomen Einzug gefunden. Posts einer morgendlichen Selfie-Weisheit aus dem Aufzug, die LeserInnen geradewegs ins nächste zu diskutierende Deutsche-Bahn-Desaster Richtung Business-Event katapultieren, sind keine Rarität mehr.  


Den krönenden Abschluss findet der Sichtbarkeits-Social-Media-Cocktail in einer knackigen Profil-Überschrift mit Witz, die möglichst kurz und intelligent beschreibt, womit man assoziiert werden möchte. Eine schmissige Headline zu formulieren ist jedoch gar nicht so einfach. Ich vermute, aus diesem Grund halten es manche mit der Headline unkompliziert und geben sich übereilt für eine gerade noch im Aufbau befindliche Business-Idee den Titel “CEO” oder “Founder”.  Damit verliert man nicht den Anschluss an die anderen vielen GründerInnen und hat gleich noch einen Small-Talk-Einstieg fürs nächste wichtige Business-Event parat:  


“Und was machst Du so?” 

“Ich bin CEO eines Instagram-Accounts.” 

 


Wer macht das Rennen? Sichtbarkeit oder Leistung? 

Inwieweit hält die Leistung, für die man eigentlich einen CEO-Titel bekommen würde, mit der heutzutage exponentiell steigenden Sehnsucht nach Sichtbarkeit mit? Und wie stark ist der Wille, diese notwendige Leistung wirklich zu erbringen, um tatsächlich mal CEO einer Firma zu sein? Wie viel macht man fürs “Gesehen werden” und wie viel, weil man Spaß oder Interesse an einer Sache hat? 


Spaß, Interesse und Leistung schließen sich einander nicht aus. Der Begriff “Leistung” steht jedoch im Zusammenhang mit Arbeit und einem daraus resultierenden Ergebnis. Freude an der Sache assoziiere ich automatisch mit Hobbys und Freizeit. Und trotzdem findet Leistung immer mehr Einzug in unseren Feierabend.  


“Was habe ich heute eigentlich geleistet?”, flüstert es leise aus der hintersten Kopf-Ecke nach einem Couch-Potato-Tag am wohlverdienten Wochenende. Am Abend schnell noch nach dem neuen Buch greifen und fünf Seiten lesen, damit ich meinem Ziel näherkomme, “mehr zu lesen”.  


Geht es dabei noch um spannenden Lesestoff? Definitiv, aber eben auch um das “mehr”, um das Ergebnis. Wenn ich nicht aufpasse, kann sich das Lesen eines Buches zu einem persönlichen Hochleistungssport entwickeln, für den ich mir am Ende des Tages zustimmend einen imaginären Schulterklopfer gebe.  


Es gibt genügend Möglichkeiten die eigene Lese-Leistung zu messen. In einer dieser zahlreichen Bücher-Apps zum Beispiel, in der man nicht nur bereits gelesene oder Wunsch-Lektüre kuratieren kann, sondern auch sieht, welche und wie viele Bücher von Lese-Freunden gerade beendet wurden. Intelligenterweise stellt die App für den Suchtfaktor auch kleine Etappenziele mit Belohnung bereit.  


Wieder ein Buch als “gelesen” zu markieren und dazu noch für alle sichtbar ins digitale Bücherregal zu stellen?  


Ein hochgradig befriedigendes Gefühl.  

 


Kein Ziel, einfach machen. Rein spaßeshalber.  

Wann wurde die Sehnsucht nach dem “Gesehen werden” und das ständige Gefühl, etwas leisten zu müssen, um (interessant) genug zu sein, so groß, dass es fast zur Rarität geworden ist, sich auf das eigentliche Tun einzulassen – noch bevor es um einen Titel oder Score geht?  


Erst kürzlich las ich auf den letzten Seiten des Buches “Bis an die Grenzen des Seins” von Autor und “einsamen Läufer” Markus Torgeby, die Worte, die meine kreisenden Gedanken der letzten Wochen auf den Punkt bringen:  


“Für viele wird Laufen zu einer Sache, bei der es um Konsum geht, einer Sache über die Buch geführt und die irgendwann ersetzt werden muss. Nur eine weitere Leistung in einem Leben, in dem es auf jeder Ebene darum geht, etwas zu erreichen. Ich glaube, dass diese Denkweise falsch ist. Die Freiheit, die in der Bewegung liegt, verschwindet, wenn sie auf Vergleich reduziert wird. Sie wird zu Bürokratie, Laufen entlang eines fixen, festgelegten Pfads in geordneten Reihen” (S. 229). 


“Ich laufe, weil ich laufen möchte. Nicht, um Leistungen zu erbringen. (...)Meine Rettung war, als ich all dies hinter mir ließ und alles entfernte, was hätte gemessen werden können: Distanzen, Geschwindigkeiten und Zeiten. (...)Meiner Meinung nach besteht die Herausforderung unserer Zeit darin, mit all dem einfach aufzuhören” (S. 231). 


Eine Freundin fragte mich einmal: “Was möchtest Du mit Deinem Blog erreichen? Möchtest Du berühmt werden? Nebenher Geld verdienen?”  


Ich hatte keine Antwort auf ihre Fragen, von denen ich mich minimal unter Druck gesetzt fühlte. In erster Linie möchte ich meinem Hobby, das mir Spaß macht, nachgehen. Meine Gedanken ordnen, kreativ sein und über meinen eigenen Schatten springen, indem ich mein Schreiben hier teile.  


Und am Ende des Tages möchte wohl auch ich – wie so viele andere auch – für das, was ich tue, gesehen werden.  


Wenn das, was ich tue und hier zeige, für jemand anderen dann auch noch gut ist, ... 

 
 
 

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